7 Fragen an eine waschechte Finnin zum Nationalfeiertag Finnlands

Jedes Jahr begehen die Finninnen und Finnen ihren Nationalfeiertag am 06. Dezember. Was genau feiern sie eigentlich? Und wie?
Ich habe nachgefragt. Natürlich bei einer waschechten Finnin:
Meine Kollegin Nascha kommt aus Rovaniemi im Norden Finnlands und kennt sich somit ziemlich gut aus mit den Traditionen des Nordens. Nascha ist 37 Jahre alt, davon lebt sie schon 12 Jahre in Deutschland, genauer: in Berlin. Hier hat sie schon für iittala gearbeitet und ist seit 3 Jahren fester Teil des HARTOG-Teams.  

Im Gespräch mit einer waschechten Finnin, Nascha, über den finnischen Nationalfeiertag

1. Die Bedeutung des Tages

Birgit: Nascha, danke, dass du dich bereit erklärt hast, zu erzählen: Was bedeutet denn der Nationalfeiertag für Finninnen und Finnen? 

Nascha: Für jeden ist das ja individuell. So wie ich das aber immer erlebt habe, ist das ein Tag des Erfolgs, ein Tag der Freiheit. Ganz häufig ist es deutlich zu spüren, dass wir als kleines Land, kleines Volk was geschafft haben. Für uns alle. Gegen so eine Großmacht wie Russland.

2. Die Geschichte dahinter

Birgit: Was heißt, wir haben es geschafft gegen die Großmacht Russland, kannst du uns ein bisschen historischen Hintergrund geben?

Nascha: Okay, so ganz in Kurz-Form das Wichtige. Wir waren ja erst lange ein Teil vom schwedischen Königreich. Danach gehörten wir zum Zarenreich von Russland. Und das war ganz lange okay für das finnische Volk, es wollte zwar bestimmt die Unabhängigkeit und Eigenständigkeit haben, aber sie hatten gleichzeitig viel Autonomie.
Dann kam der Erste Weltkrieg und brachte viel Aufruhr in Russland und die Revolution. Das war der Zeitpunkt auch für Finnland, richtig rein ins Thema Unabhängigkeit zu gehen. Und 1917, genau am 06. Dezember 1917 wurde die Unabhängigkeits-Deklarierung des Landes vom finnischen Parlament bestätigt. Die russische Regierung der Bolschewiks hat dann Ende Dezember die Unabhängigkeit anerkannt und im Januar 1918 dann andere Länder wie Schweden und so weiter. 
Und innerhalb Finnlands gab es auch Konflikte zwischen Weiße und Rote, Linke und Rechte quasi. Es gab etwa 1918 einen Bürgerkrieg, es gab ganz viel Diskussion und Aufruhr.
Trotzdem hatte man versucht, einen Tag zu finden, der eigentlich sehr neutral für beiden Parteien ist. Und da ist dann der 06.12.1917 entstanden.
Es wurde auch aufgeschrieben, wie die Unabhängigkeit an diesem Tag gefeiert werden sollte. Mit allem, was dazu gehört, und deswegen ist dieser Tag jetzt auch der Unabhängigkeits-Tag.

3. Die Traditionen am Unabhängigkeits-Tag

Die Stimmung

Birgit: Direkt die Frage, wie feiert man denn den Unabhängigkeits-Tag? Wie feiert deine Familie in Finnland?

Nascha: Ja, also das ist ein sehr andächtiger Feiertag. Es gibt keine große Party, ganz anders als zum Beispiel der amerikanische Independence-Day. Sondern es geht eher darum, dass man in Ruhe und Andacht bleibt. Das war immer auch ein Tag, wo man der gefallenen Soldaten gedacht hat. Sie wurden immer geehrt mit traditionellem Flaggen-Hissen in Helsinki.
Und dann gibt es immer vormittags eine Messe in der Kirche. Früher musste das ein lutherischer Priester sein, und jetzt heutzutage ist es eher ökumenisch, denn es gibt auch viele Orthodoxe und andere in Finnland. Bei diesem Gottesdienst ist meistens die ganze Regierung dabei und auch die Parteien-Repräsentativen und so.
Und es ist ja Winter, das spürt man ja auch in Finnland am 06.12. Der Tag hat was zu tun mit diesem, was hier ja jetzt auch ganz groß ist, hygge, dieses man macht es sich schön zu Hause. Und das versuche ich auch. Zu Hause als dein Ort des Friedens, der Zufriedenheit und Gelassenheit. Und vielleicht ist das auch so ein guter Moment am 06.12., bevor alles wieder so richtig doll anfängt mit der Weihnachts-Saison, sich einfach einen Moment zu nehmen und erst Mal kurz zu atmen.

Der Präsidenten-Empfang 

Und es hat sich dann über die Jahre entwickelt, dass es einen Präsidenten-Empfang gibt. Früher wurden die Leute in Führungs-Positionen empfangen, es wurden Medaillen oder Ehrungen, also Urkunden, verteilt an alle Leute, die das verdient hatten, auch Künstler zum Beispiel.
Das hat sich verfestigt zwischen den 50er und 60er Jahren, als fester Bestandteil des Tages. 
Es hatte so eine Kurz-Form vom Empfang im Fernsehen seit den 50er Jahren gegeben und dann seit den 80ern wurde das auch wirklich live gestreamt. Live ausgestrahlt.
Und daraus entstand auch die Tradition, dass Finnen sich abends immer versammeln vor deren Fernsehgeräten, und schauen diesen Präsidenten-Empfang, der im Präsidenten-Schloss stattfindet, ja schauen des zusammen an. Und ein paar Tage davor gibt’s halt ein bisschen in diesen Klatsch-Tratsch-Magazinen und so was gibt’s auch natürlich so Schlagzeilen wie „was zieht jetzt die und der wohl an“ oder hauptsächlich die. Sie vermuten dann sowas. 

blau-weiße Kerzen zum finnischen Nationalfeiertag im Nappula-Leuchter von iittala

Die Kerze

Dazu, das ist auch eine wichtige Tradition, stellt man diese zweifarbigen blau weißen Kerzen ans Fenster. Immer zwischen 18 und 21 Uhr. Dann haben wir abends natürliches Kerzenlicht, Leute kommen nach Hause, und es ist so ein bestimmter Zeitpunkt, wo das ganze Volk das macht.
Die Kerze ist meistens ich glaube unten blau und weiß oben. Es ist so in zwei Farben aufgeteilt, also Block-weise. Und die werden dann ans Fenster gestellt. Jeder guckt auf die Uhr und sagt, jetzt ist 18 Uhr, jetzt zünden wir die Kerzen an.
Es ist eine alte europäische Tradition, meistens zu Feiertagen oder Geburtstagen von zum Beispiel Regierungs-Chefs oder Königen oder so was, da wurden vom Volk auch Kerzen angezündet, um die zu ehren. Und in Finnland hat es bis heute so.

Das Fest-Essen

Essens-mäßig macht es jeder anders. Typisch ist so was Traditionelles wie z. B. karelische Kasserolle, die man ganz lange im Ofen hat, oder Rentier-Kasserolle, vielleicht einen Lachs. Und passend zur Saison gibt es auch Sachen wie Rote Beete, eigentlich alles, was an Weihnachten auch angeboten wird, aber in kleinerem Format.
Und dann abends, wenn dieser Empfang ausgestrahlt wird, ist es meistens Fingerfood. Die Leute versammeln sich vor dem Fernseher, bei uns zu Hause gab es dann Süßigkeiten und Chips oder so was. Wenn man das edler machen möchte, dann natürlich Roggenbrot-Häppchen mit Fisch drauf oder eine Käseplatte. Wir haben so eine bestimmte Art Käse, den man in den Ofen macht mit Moltebeeren-Marmelade, das ist sehr lecker.
Oft ist das ja auch heutzutage ein bisschen modernisiert. Aber es kommt immer wieder, wenn man jetzt im Internet kuckt, bei Bloggern zum Beispiel, da kommt "Wie kann man traditionelles Essen vorbereiten?" oder Ähnliches.

4. Den Feiertag im Ausland begehen

Birgit: Cool! Feierst du hier in Berlin auch den Nationalfeiertag, also den Unabhängigkeits-Tag?

Nascha: Im Geiste, ja. Also ich hab das immer so gegen September, Oktober im Kopf, November vielleicht noch, und dann kommt der Tag und dann denk ich so „och, ich bin ja gar nicht vorbereitet“. Ich persönlich bin hier auch nicht so verknüpft mit anderen Finnen, dass das halt so ein Gesprächsthema wäre für mich im Alltag. Und deswegen vergesse ich dann tatsächlich, die Kerzen anzuzünden. Aber ich hab die Kerzen immerhin. Und jetzt durch mein Kind, ich hab einen kleinen Sohn, dadurch dass ich auch möchte, dass er seine finnischen Wurzeln kennen lernt und ein Bewusstsein dafür entwickelt, dadurch ist es natürlich auch noch mal ein bisschen mehr.

5. Patriotismus und Finnland

Birgit: Und was heißt für die Finninnen und Finnen Patriotismus?

Nascha: Diese Zufriedenheit oder dieser Stolz auf seine eigenen Wurzeln. Freude damit. Stolz zu sein auf das, was aus dem Land kommt, etwa bestimmte weltweit bekannte Produkte. Es ist finnisch. Und dann ist es unser Produkt. Es ist ein interessantes Phänomen, wir sind die Finnen, das kommt aus Finnland, das kommt aus unserem Land, wir sind diejenigen, die das kreiert haben. Nicht direkt, aber da ist dieser Stolz auf die Sachen. Weil wir halt so ein kleines Land sind. Zum Beispiel Nokia oder iittala oder Marimekko oder sag ich mal, die Angry-Birds-Spiele, das ist alles finnisch.
Und dadurch dann natürlich, dass wir ganz viel Natur haben, ist da eine bestimmte Verbundenheit mit der Natur und mit dem Land. Nicht nur staatlich, sondern mit dem Land in sich, mit der Landschaft. Und man sagt auch, das ist unser Land.
Für mich und auch für viele, mit denen ich geredet habe, die außerhalb Finnlands leben, wächst in der neuen Heimat irgendwie dieser Patriotismus. Ich würde das eher bezeichnen als eine Verbundenheit mit seinen Wurzeln. Mit dem Land, mit den Produkten, dass man vielleicht auch sein zu Hause so gestalten möchte, dass da Finnland zu sehen ist. Und das ist dieser Patriotismus. Nicht diese Separation, sondern eher diese Verbundenheit.

6. Finnland und St. Nikolaus

Birgit: Total spannend! Wie ist das eigentlich, mit Nikolaus? Wir Deutschen feiern ja am 06.12. Nikolaus mit sehr differenzierten Traditionen, gibt’s das gar nicht in Finnland?

Nascha: Nein. Nein, also den Weihnachtsmann gibt es schon. Als ich klein war, kann ich mich erinnern, dass der Weihnachtsmann bei meinen Großeltern auch nicht rot war, sondern grau. Es gab wie in Schweden halt diese Julgubbe oder Julbock. Der Weihnachtsmann kam mit so nem Pelzmantel, das ist traditionell. Der Joulupukki, das ist der Name vom Weihnachtsmann und direkt übersetzt ist es Weihnachts-Bock. Und es war eher nicht so fröhlich wie jetzt heutzutage, es war ein gruseliges Ding. Aber der hat halt Geschenke mitgebracht und es hieß auch immer in Finnland, pass mal auf, also die Elfen, die Helfer von dem Joulupukki, schauen vom Fenster rein, und gucken ob du gut, also artig oder nicht artig bist. Und in der Hinsicht bringen die auch die Geschenke. Und es ist ein bisschen der selbe Gedanke, was Nikolaus hat mit Knecht Ruprecht in Deutschland. Aber ich habe ich Nikolaus erst kennen gelernt, als ich hier nach Deutschland kam. 

 

7. Typisch Finnisch!

Konkrete Dinge

Birgit: Und zum Abschluss noch eine Frage, was sind denn so 3 Dinge, die für dich so absolut typisch für Finninnen und Finnen sind?

Nascha: Marimekko auf jeden Fall. Oder meinst jetzt so konkrete Sachen?

Birgit: Vielleicht eine Eigenschaft oder ein Produkt, das man in Finnland oft hat?

Nascha: Marimekko, Eishockey, und jetzt überlege ich noch, Windstopper.
Windstopper-Jacken, weil wir sind ein Volk, das viel Zeit draußen verbringt, wir schätzen die Natur. Es gibt ganz wunderbare Wälder und Seen im Umland von Helsinki und im südlichen Finnland, das ein bisschen dichter besiedelt ist. Aber natürlich auch im Norden aber wir verbringen sehr viel Zeit draußen.
Eishockey deswegen, weil das ist unser Wintersport, also entweder Ski-Langlaufen oder Schlittschuhlaufen, Eishockey dann dadurch. Wir haben auch immer versucht an den Weltmeisterschaften teilzunehmen und haben auch ein paar Mal gewonnen. Und das ist auch wieder so was, wo das ganze Land sich drauf konzentriert, erst mal jubelt und dann, wenn es nicht geklappt hat, redet das ganze Volk drüber wieder „ach die hätten besser wissen sollen, die hätten …“. 
Eishockey ist übrigens überhaupt nicht so mein Interesse, aber die Finnen halt. Ja. Meine Schwester zum Beispiel auf jeden Fall. (Haben Sie schon im Moomin-Becher-Artikel gelesen, was die Morra mit Eishockey zu tun hat?) 
 
Nokia könnte man traditionell auch sagen, aber ich glaube, diese Zeiten mit Nokia sind ein bisschen vorbei. 


Aber natürlich muss ich noch eins sagen, das ist Sauna. Vielleicht ist das noch vor Marimekko, hängt davon ab, wer der sagt, aber ja. 

Charakter

Aber von Charakteristik her jetzt, eher so eine Bodenständigkeit, innere Zufriedenheit oder Gelassenheit. 
Finnland hat ja immer gut abgeschnitten in happyness-Befragung von der WHO und irgendwann wurden die Finnen gefragt, sind wir wirklich so ein glückliches Volk. Und es hat nicht unbedingt mit diese Fröhlich-Glücklichkeit zu tun, was man vielleicht manchmal darunter 
versteht. Sondern diese innere Zufriedenheit. Oder auch dieses, wenn Dinge nicht immer so laufen wie sie laufen sollten, sei es in einer Taxi-Schlange oder im Supermarkt, man muss nicht immer unbedingt jammern dann darüber so laut. Es ist einfach so. Und dann lebt man damit. So eine Gelassenheit. Quasi mit dem Gedanken wähle deine Kämpfe, wofür man seine Energie ausgibt.
Und auch Wärme. Ich finde schon, Leute sind halt vom Herzen warm. Die Nähe wird dann gefunden auf halber Strecke, wenn man aufeinander zu geht. 
Und diese innere Zurückhaltung, man vertraut jetzt nicht einfach jedem. Aber wenn das Vertrauen da ist, dann hat man auch den Respekt verdient. Vielleicht wirkt man für manche Menschen aus anderen Kulturen ein bisschen kurz angebunden, man redet nicht unbedingt zu viel. Ich bin eine Ausnahme, manche sind vielleicht eine Ausnahme.
Also Zufriedenheit, Wärme trotz Zurückhaltung und Bodenständigkeit.

Birgit: So habe ich super viel Neues erfahren! Danke Nascha für das schöne Gespräch! 

Nascha: Gerne.